Tägliche Gedanken in einer schwierigen Zeit, heute von Pfr. Dr. Siegfried Schwemmer
Wie und wann sprechen wir von Gott?
Ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte,
nicht in den Schwachen, sondern in der Kraft,
nicht also bei Tod und Schuld,
sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen.
An den Grenzen scheint es mir besser zu schweigen
und das Unlösbare ungelöst zu lassen …
Die Kirche steht nicht dort,
wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen,
sondern mitten im Dorf
(Bonhoeffer, WuE, 30.04.44, 307f.)
Wann sprechen wir von Gott? Gott ist Thema, wenn wir nicht mehr weiterwissen, wenn wir an unsere Grenzen kommen, wenn unsere Kräfte versagen, wenn wir zu faul sind zu denken, wenn uns die Angst dazu treibt.
Der deus ex machina, der Gott, der auf die Bühne geholt wird, soll die Lösung eines Konflikts hervorzaubern. Er wird gebraucht, um Defizite zu füllen. Er ist Lückenbüßer für unser Fehlen. Er ist Scheinlösung, eine scheinbare Lösung, wenn wir selbst keine haben.
Diese Form, von Gott zu reden. ist Missbrauch. Wir gebrauchen Gott für unsere Interessen. Wir instrumentalisieren ihn für unsere Bedürfnisse. Er soll unsere Defizite kompensieren.
Bonhoeffer wehrt sich gegen dieses Gottesbild. Gott ist der Gott des Lebens. Er ist die Mitte des Lebens. Er ist das Gute und nicht der Mangel. Er steht für die Fülle des Lebens und nicht für die Defizite von Leben. Er ist Ausdruck des Positiven und nicht der Negation.
Martin Luther schreibt zum ersten Gebot (Großer Katechismus):
Man soll Gott allein trauen und nur Gutes von ihm erhoffen und erwarten … Er gibt uns Leib, Leben, Essen Trinken, Nahrung, Gesundheit, Schutz, Friede und alles, was not ist, an zeitlichen und ewigen Gütern. Er bewahrt vor Unglück, und wenn uns etwas zustößt, rettet er und hilft heraus.
Luther fährt fort: Daher auch, so denke ich, nennen wir Deutschen Gott eben mit dem Namen von alters her … nach dem Wörtlein »gut«. Er ist eine ewige Quelle, aus der nichts als Güte hervorquillt und von dem alles, was gut ist und heißt, herausfließt.
Gott ist gut. Leider vergessen wir ihn schnell, wenn es uns gut geht. Wir vergessen, wem wir das Gute zu verdanken haben.
Confitemini Domino, quoniam bonus.
Confitemini Domino, alleluja.
(Chants de Taizé, 18)
Preist den HERRN, denn er ist gut, ewig währt seine Gnade.
(Psalm 136,1 Übersetzung: Zürcher Bibel 2007)
Ich mag diesen Hymnus aus Taizé. Gerne erinnere ich an die Güte Gottes, wenn zwei Menschen Ja zueinander sagen und den Bund der Ehe schließen, wenn Gott neues Leben schenkt und Kinder getauft werden, auch wenn wir einen lieben Menschen beerdigen. Bei aller Trauer gibt es Grund, Gott für das Leben des Menschen zu danken.
Gott wirkt mitten im Leben das Leben. Er wirkt durch die Liebe von Menschen. Er schenkt Menschen, die uns nahe sind. Er macht mit seiner Liebe und Güte das Leben reich, glücklich, erfüllt und schön.
Menschen, ich zitiere noch einmal Luther, sind als Kreaturen, als Geschöpfe Gottes, nur die Hand, der Kanal und das Mittel, wodurch Gott alles gibt, wie er der Mutter Brüste und Milch gibt, dem Kind zu reichen, Korn und allerlei Gewächs aus der Erde zur Nahrung. Keine Kreatur kann eines dieser Güter selbst machen (ebd.).
Bonhoeffer macht deutlich: Die Kirche steht … mitten im Dorf. Es ist ein Bild des Lebens. Der Kirchplatz ist gleichzeitig der Dorfplatz.
In Bayern steht neben der Kirche in der Regel das Wirtshaus. In Kloster Andechs, auf dem Heiligen Berg bayerischer Lebenskultur, habe ich erlebt, dass die Männer nach dem Gottesdienst im Bräustüberl ihre verzierten Bierkrüge aus dem Schließfach holen, miteinander Bier trinken und das Erlebte teilen. Die Frauen bereiten zuhause den Sonntagsbraten. Wenn alles fertig und der Tisch gedeckt ist, versammelt sich die Familie und dankt Gott für alle guten Gaben.
Das ist Lebensqualität unter dem weißblauen Himmel. Und Gott ist selbstverständlich in der Mitte!
Aus: Siegfried J. Schwemmer, Mut zur Veränderung. Christsein in der Gegenwart, KDP (Kindle) 2020, ISBN 979-8630915382, E-Book 8,90 €, Taschenbuch 9,75 €