Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
Brav sein!?
Vor mir liegt die Hersbrucker Zeitung (Regionalausgabe der Nürnberger Nachrichten) vom 27.01.2021. Ich schaue nach den Inzidenzwerten und lese die Zahl 51,52 für den Landkries Nürnberger Land. Wir stehen tatsächlich ganz unten in der Tabelle. Nur in der Stadt Bamberg ist der Wert noch niedriger. Vor knapp einer Woche war es abzusehen, dass unser Landkreis im Verhältnis zu anderen Regionen niedrige Zahlen hat.
Bei einem Gespräch mit einem Altensittenbacher sind wird auf dieses Thema gekommen. Wir haben gemeinsam überlegt, woher das wohl komme. Ein Grund ist vielleicht der, dass es einige Alten- und Pflegeheim schon getroffen hat und deshalb kaum mehr Infizierungen dort gezählt werden können. Mittlerweile sind viele Bewohner/-innen auch schon zweimal geimpft worden. Irgendwann bei unseren Überlegungen fällt der Satz: „Herr Pfarrer, wir sind halt sehr brav“.
Diese Beschreibung hat mich innerlich aufgerüttelt. Ich habe darüber nachgedacht, wo und wie ich in meinem Leben dieses Wort schon gehört habe. Ich denke dann an den Umgang mit kleinen Kindern. „Wir haben ein sehr braves Kind“ haben viele Eltern zu mir gesagt, um zu beschreiben, dass ihr kleines Baby schon durchschläft. Bei Besuchen sagen Erwachsene zu ihren Kindern: „Seid schön brav beim Opa und nicht so laut“. Das höre ich auch immer wieder, wenn mal Kinder im sonntäglichen Hauptgottesdienst dabei sind. Wenn sie relativ ruhig bleiben, dann sagen die Erwachsenen zu den Eltern: „Sie haben ja ein braves Kind“. Ich bin da inhaltlich übrigens völlig anderer Meinung. Kinder dürfen in Gottesdiensten durchaus mal laut sein! „Brav sein“ wird also mit „Ruhig sein, nicht aufsässig sein“ umschrieben. Spannend war es für mich, wenn mein Vater zu mir und meiner ein Jahr älteren Schwester beim Fortgehen zum Tanzen sagte: „Und seid auch schön brav“. Nicht ein einziges Mal hat er mir erklärt, was er damit gemeint hat. Ich habe auch nicht nachgefragt. Ich musste es mir denken, was er damit gemeint hat.
Vielleicht haben die Leser/-innen ähnliche Geschichten jetzt in ihren Köpfen. „Brav sein“. Ist das eine Tugend? Oder ist das ein Merkmal für Duckmäusertum? Oder ist das ein Ergebnis eines bestimmten autoritären Erziehungsstiles? Für die 68-er-Generation im vergangenen Jahrhundert war diese Haltung des „Brav seins“ wohl mit ein Motiv für die eigene Aufsässigkeit.
Auf der anderen Seite ist es auch eine positive Haltung, wenn Menschen genau nachfragen und bestimmte Regeln mitgehen um Schlimmeres zu vermeiden. In der Coronakrise wird das deutlich sichtbar. Wer weiß? Vielleicht leben die Menschen im Landkreis Nürnberger Land tatsächlich vorsichtiger und glauben den Politikern mehr als in anderen Regionen unseres Landes. Aber kann ich das dann mit „Brav sein“ umschreiben? Und ganz ehrlich: Wenn das dazu führen würde, dass der Inzidenzwert bei uns niedrig bleibt und wir somit schneller wieder mehr Freiheiten leben können als andere, dann kann das mir nur recht sein.