Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
Der Draht nach oben
Es ist der 13. Februar 2021. Ich schlage die Hersbrucker Zeitung auf (Regionalausgabe der Nürnberger Nachrichten) und erschrecke auf der Seite 21. Relativ groß ist die Traueranzeige von Dr. Joachim Robert Kalden zu lesen. In der Anzeige werden seine ganzen Verdienste und seine Ehrungen erwähnt. Mich erinnert diese Anzeige an eine meiner großen Krisen in meinem Leben.
Es fing im Herbst 1982 relativ normal an. Ich hatte Fieber, das nach einigen Tagen wegging. Nach kurzer Zeit kam das Fieber zurück und ich musste ins Bett. Das war ich gar nicht gewohnt. Ich bekam Fieber senkendes Mittel. Innerhalb von zwei Stunden ging die Körpertemperatur von 40 Grad auf 36,5 zurück. Nach einer weiteren Stunde ging sie wieder auf 40 Grad hoch. Im Laufe der folgenden Wochen ging es mehrmals so. Im Juli 1983 hat mich ein Arzt darauf aufmerksam gemacht, doch mal in die Immunologie nach Erlangen zu gehen um mich gründlich untersuchen zu lassen.
Gesagt – getan. Dieses Institut liegt direkt zwischen Marktplatz und Schlossgarten. Ich war insgesamt vier Wochen dort und durchlief fast alle Untersuchungen. Unter anderem wurde auch Knochenmark aus meinem Körper genommen und der Magen wurde mittels Schlauch untersucht. Prof. Dr. Kalden war der leitende Chefarzt. Jeden Tag kam er zur Visite und sprachen u.a. mit mir auch über Glauben und Sport. Denn gerade zu dieser Zeit fand die erste Leichtathletikweltmeisterschaft in Helsinki statt. Ich gab eine tägliche Prognose für den kommenden Tag ab und er gab mir dann am nächsten Tag das Ergebnis bekannt. Ich erinnere mich noch genau, dass ich zu ihm sagte: „Die 3000 m Hürden gewinnt der Patriz Ilg“. Am nächsten Tag begrüßte er mich mit den Worten: „Herr Metzger, sie haben Recht gehabt. Patriz Ilg hat gewonnen“. Ich glaube, diese richtige vorhersage hat mein Ansehen bei ihm gesteigert. Vielleicht gehörte er ja auch zu den Menschen, die meinen, ein Pfarrer liest nur in der Bibel und hat sonst nicht sehr viel Ahnung!!
Trotz der vielen Untersuchungen setzte er sich nach vier Wochen an mein Bett und meinte: „Jetzt haben wir alles untersucht. Ich weiß auch nicht, was Sie haben. Aber Sie haben doch einen besseren Draht nach oben als ich“. Dabei zeigte er mit dem Finger zur Zimmerdecke. Ich stand da mit meiner Krankheit und war schon etwas traurig und unsicher. In meiner Verzweiflung sagte ich noch: „Ich spüre einen Schmerz im Rachen. Könnte das eine Spur sein?“ „Dann schicken wir Sie doch noch einmal zum HNO-Professor“. Das war dann letztlich die richtige Spur. Meine Mandeln waren total voller Eiter. „Jetzt haben so viele Ärzte, Studenten und auch Professor Kalden vermutlich über 30-mal in meinen Mund und in den Rachen geschaut und keiner hat die vereitere Mandeln gesehen! Ich kann es kaum glauben“. Das war mein Kommentar in der HNO. Ich erhielt zur Antwort, dass die Mandeln wirklich sehr versteckt waren und wenn ich diese nicht sofort herausoperieren lasse, dann werde ich in einem halben Jahr nicht mehr leben.
Dieser Satz hat mich wirklich getroffen und ich war froh, dass endlich eine Diagnose gestellt wurde. Und vielleicht war dieser Hinweis zum HNO-Professor zu gehen ja tatsächlich ein Hinweis von Gott. Weil Professor Kalden mit den beiden Vornamen Joachim Robert genannt wurde, hieß er bei allen nur J.R. Es war eine Anspielung auf die Fernsehserie „Dallas“. Aber solch ein Fiesling wie J.R. Ewing (gespielt von Larry Hagmann) war Professor Kalden keineswegs. Ganz im Gegenteil: Er war auch als Professor ein Mensch wie du und ich. Und im Nachhinein hat es mich sehr imponiert, dass er ehrlich zugegeben hat, dass selbst er nicht mehr weiter weiß. Immerhin ist er 83 Jahre alt geworden. Aber die Erinnerung an meine eigene Krisensituation von damals lebt neu auf durch diese Traueranzeige.