Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit
Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit
„Liberté -Egalité – Fraternité“. „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“. Wie oft hat mir mein Vater die Französische Revolution erklärt als ich noch nicht einmal in die Grundschule gegangen bin. Dabei war er gar kein Freund dieser Umwälzung. Er hat mir aber gesagt, dass dieses Ereignis die Geschichte bis heute nachhaltig beeinflusst hat. Und dann hat er immer auch dazu gesetzt: „Aber merk dir eins, Gerhard, die Revolution frisst ihre eigenen Kinder“. Also: Wenn eine Bewegung selbst an die Macht gekommen ist, dann steht sie in der Gefahr, selbstherrlich zu werden – so zu werden wie die Bewegung, gegen die sie angekämpft hat.
Auch im Nachhinein merke ich, dass er damit eine Lebenswahrheit ausgesprochen hat. Der Umsturz im damaligen Frankreich steht dafür Zeuge. Denken Sie nur an die Frau von König Ludwig XVI., Marie-Antoinette, eine Tochter der österreichischen Kaiserin Maria Theresia. Sie wurde am 16.10.1793 auf dem Schafott hingerichtet. Alle ihre drei Richter waren spätestens ein Jahr danach selbst Opfer ihres eigenen Aufstandes.
Heute stelle ich das immer wieder fest. Der Kommunismus wollte die Teilhabe aller Menschen an der Wertschöpfung eines Staates. Daraus wurden totalitäre Regierungen, die in Europa erst 1989 gestürzt wurden. Wenn ein Mensch oder eine Gruppe Ziele erreicht haben, dann stehen sie in der Gefahr, selbst andere beherrschen zu wollen. Das ist eine große Gefahr. Die Richter und Könige von Israel und Juda haben dieser Versuchung oft nicht widerstanden. Die Kaiser und Cäsaren der Weltgeschichte sind in diese Falle getappt. Jeder Mensch, der in eine Verantwortungsposition gewählt und/oder berufen worden ist, steht in der Gefahr, sich dann zu überschätzen und eigennützig zu entscheiden und zu handeln.
Für mich als Pfarrer war das wie ein Leitsatz für meine Pfarramtsführung. Deshalb habe ich versucht, Gaben und Begabungen von Menschen zu erkennen und für die Leitung der Kirchengemeinden zu gewinnen, für die ich verantwortlich war. Das gelingt mal mehr, mal weniger. Aber es ist ein Grundsatz von mir, mich selbst nicht zu wichtig zu nehmen.
Was ich von der französischen Revolution noch lernen kann: die Kirche im Alltag zu verorten. 1789 war die Kirche stark mit der Regierung und dem damaligen französischen König Ludwig XVI. verbunden. Die Kirche hatte großen Privatbesitz (weit über 60 % der gesamten Landfläche), während das einfache Volk und die Bauern um ihre Lebensexistenz kämpfen mussten. Wenn die Kirche im Laufe der Kirchengeschichte in dieser Rolle zu finden war, hat sie meistens sehr viel geistliche Substanz verloren.
Heute stehen verantwortliche Menschen in der Kirche wieder vor der Frage: Wie nehmen wir Einfluss auf das Geschick der Menschen, denen wir die Botschaft des Evangeliums weitersagen wollen? Welches Teil im Getriebe von Politik und Gesellschaft sind wir? Eine Frage, die wirklich schwer zu beantworten ist.
Den Grundsatz „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ kann ich persönlich durchaus auch aus der Bibel herauslesen, auch wenn die Bewegung der französischen Revolution von den äußeren Umständen her sehr kirchenkritisch war. So wurde z.B. der Sonntag abgeschafft. Statt eine Woche mit sieben Tagen wurde der Monat in 30 Tage mit je 10 Tage in der Woche gegliedert. Man wollte alles dafür tun, dass Menschen sich von Gott und der Kirche abwenden.
Letztlich bleibt es aber in der Verantwortung eines jeden Christen, wie er seinen Glauben mit seinem Alltag als Bürger in Einklang bringt. Der Sturm auf die Bastille heute vor genau 231 Jahren, am 14.07.1789 ist eine Herausforderung für mich, besonders in Krisenzeiten das Verhältnis von Kirche und Staat zu klären.
Paulus hat auf seinen Missionsreise für die Urgemeinde eine Kollekte gesammelt. In zwei Kapiteln (2. Korinther 8 – 9) begründet er dies mit folgenden Worten (nach der Übersetzung der Textbibel): „Was ihr in dieser Zeit mehr habt, soll für das gut sein, was jene weniger haben; damit auch ihr Reichtum wieder decke, was euch fehlt, zur Herstellung der Gleichheit“. Das ist die Sichtweise von Paulus zum Thema „Gleichheit“. Die mehr haben, sollen für die, die weniger haben etwas hergeben. Ist das auch ein Weg in dieser Coronaepidemie?
Grundsätzlich gilt für mich: die Franzosen sind immer mal für Überraschungen gut. auch an einer Stelle, wo ich das gar nicht vermutet hätte. Davon aber mehr in drei Tagen.