Tägliche Gedanken in einer schwierigen Zeit, heute von Dr. Mathias Kropf
Geh aus mein Herz…
Der Text eines bekannten Sommerliedes von Paul Gerhardt (1607–1676) „Geh aus mein Herz und suche Freud“ hat mich zum Schreiben dieser Zeilen angeregt. Ich fand die folgende Geschichte im Internet als ich für meine Frau Elena nach Informationen zu dem Text dieses Liedes für ihre Arbeit im Sigmund Faber Haus Hersbruck suchte. Erstmals erschien der Text und die Melodie zu diesem Lied 1653 in der fünften Auflage von Johann Crügers Gesangbuch. Johann Crüger (1598 – 1662) war seiner Zeit ein beliebter Komponist bekannter protestantischer Kirchenlieder und sozusagen der Hauptkomponist der Texte von Paul Gerhardt. Das folgende Gespräch zwischen Paul Gerhardt und dem Leiter des Schulchores in Mittenwalde (Brandenburg) habe ich stark verkürzt und überarbeitet. Den vollständigen Originaltext findet man unter: https://www.frieder-harz.de/pages/rel.paedagogische-beitraege/erzaehlen/die-geschichte-des-monats/2018/juli-2018-geh-aus-mein-herz.php
Und so beginnt diese Geschichte: „An einem Sommertag im Jahr 1653 sind zwei Männer unterwegs von der Stadt Mittenwalde in Brandenburg zu einem der nahe gelegenen Dörfer. Der eine ist Pfarrer Paul Gerhardt, der Stadtpfarrer von Mittenwalde, der andere ist der Leiter des Schulchors, der oft mit den Schulkindern in den Gottesdiensten singt. Pfarrer Gerhardt muss sich auch um die Dörfer im Umkreis der Stadt kümmern, und dazu gehört der Unterricht an den Schulen. Aus diesem Grund sind die beiden unterwegs.
Der Kantor spricht zum Pfarrer Paul Gerhardt: „Sie können den Menschen so viel Tröstendes sagen – mit Ihren Worten, Gedichten und vor allem mit Ihren wunderbaren Liedern. Immer wieder kommen neue dazu. Ich übe sie sehr gerne mit den Kindern ein. Wir singen sie dann im Gottesdienst und üben sie mit der Gemeinde. Wie im Nu sind sie dann wie ein neues Goldstück in der Schatzkiste unserer Kirchenlieder, mit der Sie uns so sehr bereichern“.
Paul Gerhardt lächelt bescheiden und meint dann: „Gott hat mir die Gabe zum Dichten geschenkt, und von dieser Gabe teile ich gern aus“. Der Kantor antwortet: „Es sind so schöne Lieder, die uns das ganze Jahr hindurch, an Sonn- und Werktagen begleiten. Wir sind auch stolz darauf, dass sie bei uns in Mittenwalde entstehen und dann bald darauf im ganzen Land gesungen werden“.
Dann, nach einer längeren Gesprächspause, meint der Lehrer: „Ein wunderbarer Morgen ist es heute. An solchen Tagen gehe ich gerne mit den Kindern hinaus ins Freie. Wir hören, lauschen und schauen. Es ist ein wahres Gottesgeschenk, wie nach den schlimmen Kriegszerstörungen* wieder so viel Schönes wächst und gedeiht“. [*Dreißigjähriger Krieg (1618 – 1648)]
Paul nickt und meint: „Mir bedeutet das Leben in und mit der Natur auch sehr viel“. So gehen sie schweigend weiter, lauschen und schauen. Sie hören das Morgengezwitscher der Vögel, das durch keine anderen Geräusche gestört wird, hören das Gesumm der Bienen und Hummeln, die eifrig nach Blüten suchen. Dazu kommt dann auch das Plätschern eines Baches, an dem sie gerade entlang gehen. Der Blick schweift weit über die Landschaft.
Dann meint Pfarrer Gerhardt: „Ich freue mich sehr, dass Sie mit den Kindern dieses Lauschen und Schauen einüben. Da können wir viel von Gottes Kraft spüren, die alles in der Natur durchdringt. Sie lässt immer wieder so viel Schönes wachsen und schenkt uns Freude, für die wir Gott danken können. Sie erinnert uns so auch daran, dass Gott viel Wunderbares für uns bereit hält, das wir jetzt noch gar nicht sehen und wissen, sondern nur erahnen können“. Der Lehrer hört aufmerksam zu, was Pfarrer Gerhardt sagt und meint dann ganz vorsichtig: „Sind das vielleicht schon Gedanken zu einem neuen Lied? Erlebe ich da gerade die Entstehung eines Sommerliedes mit, in dem es ums Lauschen und Schauen, um Danken und Loben geht?“ Paul Gerhardt lacht: „Sie können wohl Gedanken lesen“, und dann murmelt er leise vor sich hin: „Geh aus, mein Herz und suche Freud…“. Bis hier hin die Geschichte.
Mich hat in dem sehr einfühlsamen Dialog zwischen Paul Gerhardt und dem Kantor der Satz bewegt, wo es heißt: „Wir hören, lauschen und schauen“! Vieles können wir lauschend und sehend in der uns umgebenden Schöpfung mit allen Sinnen wahrnehmen. Einen schönen Bibelvers verbunden mit einer wunderbaren göttlichen Verheißung finden wir in dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther im zweiten Kapitel.
Vers 9: „Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“
Hier geht es auch ums Hören, Lauschen und Sehen, aber in eine ganz neue Dimension, die für unsere Sinne nicht direkt zugänglich ist. Es ist die Welt unserer Herzen, zu der wir im Glauben und im Gebet Zugang haben. Paulus bezieht sich in dem Vers 9 aus seinem ersten Korintherbrief auf einen Bibeltext des Propheten Jesaja. Dieser hatte schon vor etwa 2700 Jahren Gottes Verheißung für die, die IHN lieben nieder geschrieben: „Auch hat man es von alters her nicht vernommen. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.“ (Jes 64,3)
Das Wort „harren“, dass hier Luther verwendet, wird meist in der Bedeutung von „sehnsüchtig auf ein bestimmtes Ereignis warten“ gebraucht. Lernen wir wieder auf Gottes leise Impulse in unseren Herzen zu lauschen und zu hören! ER hat uns verheißen, dass Seine Schafe Seine Stimme hören werden (Joh 10,27). Die uns umgebende Natur mit ihrer Vielfalt an Farben und Formen, die Paul Gerhardt in seinem Sommerlied so wunderbar beschreibt, möchte uns dazu immer wieder ein inspirierender Wegweiser sein! Jeder Vers in diesem Lied ist schon ein kleines Gebet, das sich zum Himmel empor schwingt und von unserem Schöpfer ganz sicher vernommen wird:
„Mach in mir deinem Geiste Raum,
dass ich dir werd´ ein guter Baum,
und lass´ mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm,
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.“