Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 236 vom 06.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Die Erde so groß wie eine Nuss, äh wie eine Erbse!

Am 06.10.2020 fahre ich mit dem Fahrrad zur Grundschule in Altensittenbach. Der Religionsunterricht in der dritten und vierten Stunde liegt vor mir. In Gedanken gehe ich meinen Plan durch. Ich hatte ein Arbeitsblatt vorbereitet, das den Abschied Jesu von seinen Jüngern zum Inhalt hat. 40 Tage nach seiner Auferstehung versammelte er die verbliebenen Elf am Ölberg und verheißt ihnen die Kraft des Hl. Geistes. Dann nahm ihn eine Wolke auf und er war vor ihnen entschwunden.

Wie könnt Ihr Euch das vorstellen“ war meine nicht ganz leichte Frage. Aber ich war überrascht: „Nicht so wie eine Rakete. Jesus verschwand in einer Wolke und war dann in der unsichtbaren Welt bei seinem Vater“. Für eine Neunjährige war das eine sehr gute Antwort. Sie hatte offenbar in der Stunde vorher gut aufgepasst. Was dann folgte, war aber nicht geplant. Wir kamen auf den Unterschied von „sichtbarer Welt“ und „unsichtbarer Welt“ zu sprechen. Den Unterschied von „sky“ und „heaven“ habe ich erklärt.

Plötzlich waren wir beim Thema: „Universum, Urknall und schwarze Löcher“. Es gab lange Diskussionen. Ein Schüler meldete sich mit der Frage, warum es Farben gibt, wo doch das Universum schwarz ist. Also gab es von mir noch einen kleinen Abstecher in Richtung „Spektralfarben, Lichtbrechung, Regenbogen“. Ich habe mich als Absolvent eines Physikleistungskurses in meinem Element gefühlt. Albert Einstein habe ich auch genannt und dass er der Entdecker der Relativitätstheorie ist. Schließlich kamen wir auf die Nobelpreise zu sprechen und ich habe die Schüler/-innen darüber informiert, dass der erste Träger dieser Auszeichnung im Fach Physik mit Conrad Röntgen ein deutscher Wissenschaftler an der Universität in Würzburg war. Ich habe noch den Zusatz gemacht, dass vor allem am Anfang der Vergabe der Nobelpreise viele deutsche Forscher ausgezeichnet wurden. Am Ende meinte ein Schüler, dass solch ein Religionsunterricht wirklich sehr spannend ist. Tatsächlich versuche ich zu vermitteln, dass Glaube an Gott mit all diesen Dingen des Lebens zu tun hat und dass ein Pfarrer „nicht nur die Bibel liest und kennt“.

Nach diesen beiden Stunden in Religion fahre ich mit meinem Fahrrad heim. Im Pfarramt gibt es wichtige Gespräche mit der Pfarramtssekretärin. Dann geht mein Blick kurz in die Nachrichten. Ich staune: Der deutsche Wissenschaftler Reinhard Genzel hat den Nobelpreis bekommen für die Forschung zu den schwarzen Löchern. Na, wenn das keine Punktlandung war!!!!

Und welch ein Glück für mich! Ich hatte den Schüler/-innen erklärt, dass sie sich das mit den schwarzen Löchern vorstellen müssen als würde sich die Erde sich zusammen ziehen zu einer Größe wie eine  Nuss. In den Nachrichten wurde es erklärt mit dem Bild der Erbse! Aber dass die gesamte Erde so klein wird wie eine Erbse oder eine Nuss, spielt dann auch keine Rolle mehr. Das ist nur ein anderes Bild dafür. Irgendwie war ich dann doch zufrieden, so aktuell gewesen zu sein. Vor allem weil übermorgen ein besonderer Tag für einen deutschen Nobelpreisträger ist.

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 234 vom 05.11.2020

Tägliche Gedanken in einer schwierigen Zeit, heute von Pfr. Dr. Siegfried Schwemmer

Zeit, dass sich was dreht

Wer jetzt nicht lebt,
wird nichts erleben.
Bei wem jetzt nichts geht,
bei dem geht was verkehrt.
Die Zahl ist gefallen,
die Seiten vergeben.
Du fühlst du träumst,
du fühlst du glaubst du fliegst
oeoeoe
bis zum Leben deoe …

Es wird Zeit, dass sich was dreht
Wer sich jetzt nicht regt
wird ewig warten.
Es gibt keine Wahl
und kein zweites Mal.
Die Zeit bereit
nicht zu vertagen
Du fühlst du träumst
Du fühlst du glaubst du fliegst.
Zeit, dass sich was dreht.
(Herbert Grönemeyer)

2006 war in Deutschland das Sommermärchen. Herbert Grönemeyer hatte den offiziellen FIFA WM-Song geschrieben.

Es gibt auch andere bemerkenswerte Texte von Grönemeyer. Zu meinen Lieblingssätzen gehört: Stillstand ist der Tod.

Ich ging als Pfarrer an einen neuen Ort. Die Uhr am Kirchturm stand lange Zeit still. Es war für mich ein Symbol. Erst als ich mich persönlich um die Uhr gekümmert hatte und sie reparieren ließ, konnte ich sie mit der aktuellen Jetztzeit synchronisieren.

Ich wünschte mir, und ich habe es öffentlich gesagt, dass wir als Kirche und Kirchengemeinde in der Gegenwart ankommen. Ich wollte nicht ständig hören: »Früher war alles besser«. Oder: »Es ist schon immer so und so muss es bleiben«.

Ich habe gefragt: Wünschen sich die, die immer die Vergangenheit beschwören, ohne die Erkenntnisse der modernen Medizin, an der Pest, der Cholera und anderen überwundenen Krankheiten zu sterben?

Reform ist für die Kirche der Reformation Prinzip und ständiger Prozess. Es gehört zum Wesen des protestantischen Prinzips, die eigene theologische und kirchliche Praxis immer wieder in Frage zu stellen: ecclesia semper reformanda. Die Kirche muss und soll sich immer wieder verändern und erneuern. Nur so ist und so bleibt sie wesentlich und lebendig.

Wie gesagt: Stillstand ist der Tod. Deshalb ist es Zeit, dass sich was dreht. Leben ist Bewegung!

Nachdem ich am Reformationsfest mein Anliegen öffentlich gemacht hatte, war ich angezählt. Meine Zeit an diesem Ort sollte bald zu Ende gehen. Die Widerstände waren groß. Der Geist der Erneuerung wurde mit allen Mitteln verhindert. …

Meine wissenschaftliche Beschäftigung mit Wilhelm Löhe (1808-1872), der ich mich widmen durfte, hat mich in meiner Haltung bestätigt:

Veränderung muss sein, wo man vorwärts geht,
und immer vorwärts bringt am Ende eitel Vorteil.
Nichts jämmerlicher als Stillstand.
(Wilhelm Löhe, GW 2,368)

Aus: Siegfried J. Schwemmer, Mut zur Veränderung. Christsein in der Gegenwart, KDP (Kindle) 2020, ISBN 979-8630915382, E-Book 8,90 €, Taschenbuch 9,75 €

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 234 vom 04.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Aller Anfang ist (nicht) schwer

Vor vier Tagen habe ich davon geschrieben, welches Reformationsfest für mich das Wichtigste war: die Geburt meiner ersten Tochter. 1984 erlebte ich ein weiteres besonders Reformationsfest am 04.11.1984 und damit genau heute vor 36 Jahren. Mit meinen 26 Jahren wurde ich im Dekanat Lohr am Main in der Pfarrer Weißenbach-Detter-Heiligkreuz als Pfarrer z. A. (zur Anstellung) eingeführt.

Ein paar Monate vorher saßen die Pfarramtskandidaten/-innen im Predigerseminar in Neuendettelsau. Der Leiter und spätere Regionalbischof von Regensburg, Gottfried Preißer hat das ganz spannend gemacht. Er hat jeden Einzelnen mit Namen genannt. Dann hat er ein paar Worte von Vorzügen und Gaben von ihm/ihr genannt. Und erst danach hat er verlesen, auf welche Pfarrstelle er/sie kam. Ich war ungefähr in der Mitte dran. Er nannte den Ort und ich hatte keine Ahnung, wo der liegen könnte. Die Rhön hatte mir bis dorthin nichts gesagt. Dann kam ein paar Tage später der Blick in das Amtsblatt und ich erfuhr die ersten Neuigkeiten aufgrund der Ausschreibung. Schon ein Jahr war diese alt und niemand hatte sich darauf gemeldet. Die drei Kirchengemeinden suchten einen musikalischen Pfarrer, der gerne auf einer Dorfpfarrstelle wirken wollte. Vermutlich haben diese beiden Wünsche den Ausschlag des Landeskirchenamtes für mich gegeben. Gottfried Preißer sagte noch: „Die Meisten von Ihnen kommen auf sehr schwierige Pfarrstellen“. Ich war auch darunter.

Seit etwa sieben Jahre war diese Pfarrstelle nicht richtig besetzt. Ich war wirklich gespannt, ob und wie die Menschen mich aufnehmen würden. Dazu kam mein junges Alter. Fast alle Mitglieder in den drei Kirchenvorständen waren sehr viel älter als ich. Ich wurde am Anfang genau angeschaut und mit Vorsicht betrachtet. Schließlich brachte ich ganz andere Impulse ein als meine Vorgänger. Aber im Nachhinein sage ich immer wieder: „Die Anfangszeit war ein sehr hartes Brot. Es war aber auch meine erste Liebe“. Dass ich nach meiner Zeit als Pfarramtskandidat die Pfarrstelle nach vier Jahren verlassen habe, hatte rein persönliche Gründe. Mein Lehrvikar wurde inzwischen Dekan und hat mich für sein Dekanat geworben mit einer Pfarrstelle mit ganz anderen Perspektiven. Nach sehr langem Hin und Her habe ich mich zum Wechseln entschlossen.

Noch heute habe ich sehr gute Beziehungen nach Weißenbach-Detter-Heiligkreuz, auch wenn diese vor allem telefonisch getätigt werden. Im Nachhinein denke ich sehr gerne an die Menschen dort zurück. Und heute nach 36 Jahren sind einige Konfirmanden/-innen aktive Gemeindemitglieder und bringen sich z.B. im Kirchenvorstand ein. Ich erkenne daraus: Es ist nicht alles umsonst an Impulsen, die ich weitergegeben habe. Und das soll alle Menschen in verantwortlichen Positionen stärken, die nicht immer sofort ein fruchtbares Ergebnis sehen.

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 233 vom 03.11.2020

Dem Wort Gottes Raum geben (ein verkürzter Beitrag einer Andacht für das Landwirtschaftliche Wochenblatt vom 25.10.2019)

Tritt fest auf, mach`s Maul auf, hör bald auf“. Das ist wohl eines der bekanntesten Zitate von Martin Luther. Die Christen beider Konfessionen leben zur Zeit in einer sehr wichtige Woche. Katholische Christen feiern Allerheiligen und Allerseelen und viele begeben sich an die Gräber ihrer Verstorbenen. Evangelische Christen erinnern sich an den 31.10.1517 und feiern den Reformationstag und das Reformationsfest. Von Anfang an hat der Reformator Wert darauf gelegt, dass die Menschen selbst die Bibel lesen und sich ein eigenes Urteil über das Wort Gottes machen können. Sie sollten in ihrem Glaubensleben eben nicht nur abhängig sein von den Predigten der Pfarrer. Sie sollten eigene Meinungen entwickeln und sich notfalls auch in eine Diskussion hineinbegeben können.

Die Heilige Schrift ist ein Kräutlein; je mehr du es reibst, desto mehr duftet es“. Auch dieses Zitat von Martin Luther zeigt: Menschen sollen die Bibel als ein Buch erkennen, in dem wir Gottes Wesen erkennen können.

In der Bibel redet Gott selbst mit uns wie ein Mensch mit seinem Freunde“. Ich selbst war überrascht von diesem Zitat von Luther, weil ich es vorher noch nicht kannte und weil es das Evangelium auf den Punkt bringt: Gott will Beziehung zu uns. In Jesus Christus ist er Mensch geworden wie wir. Er hat sich in diese Welt begeben, damit wir seine Liebe und Barmherzigkeit erkennen und leben können. Daran hat sich nichts geändert.

So schließe ich mit einem weiteren Zitat von Martin Luther: „Wie einer lieset in der Bibel, so steht in seinem Haus der Giebel. Die Bibel: Es sind nicht Lesewort, sondern eitel Lebewort drinnen“.

Ein verkürzter Beitrag einer Andacht für das Landwirtschaftliche Wochenblatt am 25.10.2019

Wenn Corona will, steht (noch mehr) still, Update 232 vom 02.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Der Rieser Bußtag

Ich will unbedingt schreiben, was der 1.11. im Ries für ein besonderer Tag ist. Es ist der sog. „Rieser Bußtag“. Das kommt daher, dass dieser Tag vor Einführung des Buß- und Bettages als Feiertag gefeiert worden ist. Offenbar ist er schon eingeführt worden für die Bevölkerung des Grafen von Oettingen-Oettingen nach der für die Evangelischen verlorenen Nördlinger Schlacht im Jahr 1634 während des 30-jährigen Krieges. Es sollte ein lokaler Bußtag für die Bevölkerung sein und zu einer Hinwendung zu Gott führen. Mehr etwas mehr darüber wissen will, der empfehle ich mein Update 141 vom 03.08.2020.

Dieser Rieser Bußtag wird dort in der Region ganz groß begangen. Weil es am Nachmittag einen Kirchhofgang gibt, ersetzt er den sonst üblichen „Totensonntag“ am Ende des Kirchenjahres. An diesem 1.11. wurde in Alerheim auch den Verstorbenen gedacht und die Angehörigen waren zum Gottesdienst eingeladen.

Am 1.11.1988 hatte ich ein besonderes Erlebnis. Am Nachmittag spielte der Posaunenchor auf dem Friedhof und ich beobachtete die Menschen an den Gräbern. Weil ich erst vier Wochen da war, kannte ich noch kaum die Lebensumstände mancher Familien. Ich sah ein älteres Ehepaar am Grab stehen. Sie hatten verweinte Augen und standen gebückt. Ich ging nach einer Weile zu ihnen hin und fragte nach den Umständen. Sie zeigten auf das Grab. Dort stand der Name ihrer Tochter. Mit 18 Jahren war sie verstorben. Es gab eine Wettfahrt von zwei Männern. Beide hatten ein gemeinsames Ziel, aber nahmen verschiedene Strecken. Die eine war länger und ging über Bundesstraßen. Die andere Strecke war wesentlich kürzer, aber es ging über gefährlichere Kreisstraßen. Die Tochter des Ehepaares saß im Auto des Freundes, der den Weg durch die Dörfer nahm. An einer gefährlichen Stelle war der Fahrer zu schnell. Das Auto überschlug sich und die Freundin wurde getötet. Der Fahrer hat seinen Fehler nie überwunden und kämpfte mit sich. Er wurde alkoholabhängig und starb 1993 noch relativ jung. Ich habe ihn beerdigt und noch heute stehen mir Tränen in den Augen an die Erzählung des Ehepaares über ihre durch ein leichtsinnig verursachtes Unglück, das nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Auch solche Lebenskrisen gehören zu mir mitten in dieser Coronakrise. 

Wenn Corona will, steht (vieles) wieder still, Update 231 vom 01.11.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Ordination am Allerheiligentag

Heute feiern viele evangelische Christen das Reformationsfest. Eigentlich ist es das falsche Datum. Denn Reformationstag war ja gestern am 31.10. Aber weil dieses Datum nur in neun Bundesländern ein gesetzlicher Feiertag ist, tun wir uns in Bayern immer ein wenig schwer damit. Zum einen ist der nachfolgende Tag (Allerheiligen) ein gesetzlicher Feiertag und das Reformationsfest steht in diesem Schatten. Zum anderen ist der 31.10. oft ein Werktag und es finden kaum Gottesdienste und Feierlichkeiten an diesem Tag statt. Also wird das Fest am darauffolgenden Sonntag gefeiert. Und in diesem Jahr wird es noch interessanter. Es fallen das Reformationsfest und Allerheiligen zusammen. Ehrlich gesagt: Oft liegt der Reformationstag innerhalb der sog. Herbstferien und viele Pfarrer sind dann nicht da, weil sie in Schulzeiten keinen Urlaub nehmen können.

Für mich hat dieser 01.11. noch eine weitere besondere Bedeutung. Am 01.11.1984 wurde ich von Oberkirchenrat Meiser in meiner Heimatkirche in Habelsee ordiniert. Es war ein bedeutendes Fest. Nicht vorher und bis jetzt auch nicht danach gab es das in dieser kleinen Kirchengemeinde von noch nicht einmal 200 Gemeindemitglieder. Natürlich war die Michaeliskirche „bis zum letzten Platz“ besetzt. Landrat, Bürgermeister, Dekan, Kollegen aus dem Dekanat Rothenburg o/T – alle waren sie da. Natürlich auch meine Familie und mein früherer Ortspfarrer. Nach Predigt von OKR Meiser und meinem Ordinationsgelübde gab es diese bedeutende Handlung: Ich habe die Liturgie des hl. Abendmahls gehalten und die Kommunion ausgeteilt. Weil es in Habelsee (bis heute) keine Abendmahlshelfer/-innen gibt, kamen alle zu mir nach vorne. Der Oberkirchenrat hat die Hostien verteilt und ich den Wein gegeben.

Ich erinnere mich vor allem an die Gesichter der Dorfmenschen. Noch vor wenigen Jahren war ich ein ganz „normaler“ Ortsjugendlicher, der neben der Schule vor allem viel auf dem elterlichen Hof gearbeitet hat. Jetzt kamen sie nach vorne und ich schaute ihnen genau in das Gesicht. Es war für mich ein komisches Gefühl. Darunter waren Gleichaltrige, mit denen ich mich vor ein paar Jahren heiße Fußballkämpfe lieferte. Darunter waren Erwachsene, die mich vor allem als Kind kannten. Darunter waren ältere Kollegen, die mich als Orgelspieler im ganzen Dekanat gehört hatten. Darunter war auch eine Abordnung aus meiner kommenden Pfarrei Weißenbach-Detter-Heiligkreuz im Dekanat Lohr am Main. Ich hatte diese Menschen vorher nicht gesehen, weil ich vom Landeskirchenamt dorthin gesendet wurde. Diese Pfarrei war über ein Jahr vakant und keiner hatte sich dorthin beworben. An diesem Allerheiligentag vor 36 Jahren war ein furchtbarer Nebel und ich habe es sehr wertgeschätzt, dass diese Abordnung aus der Rhön die 200 km hin und her gefahren sind, um die Ordination ihres künftigen Pfarrers zu erleben.

Wie jung ich da noch war!!!! Der Oberkirchenrat schaut sehr ernst!!

Alles in allem. Ich habe an diesem Tag noch einmal besonders erfahren, was das Ordinationsgelübde bedeutet. Der Text lautet: „Die Ordinierten sind durch die Ordination verpflichtet, das anvertraute Amt im Gehorsam gegen den dreieinigen Gott in Treue zu führen, das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis ihrer Kirche bezeugt ist, rein zu lehren, die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß zu verwalten, ihre Dienst nach den Ordnungen ihrer Kirche auszuüben, das Beichtgeheimnis und die seelsorgerliche Schweigepflicht zu wahren und sich in ihrer Amts- und Lebensführung so zu verhalten, dass die glaubwürdige Ausübung des Amtes nicht beeinträchtigt wird“.

Wenn Corona will, steht (wieder) viel mehr still, Update 230 vom 31.10.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Was Edgar Wallace mit Martin Luther zu tun hat

Als Kind durfte ich die Edgar-Wallace-Krimis nicht anschauen. Solche schreckliche Szenen wollten meine Eltern den Kindern vorenthalten. Vermutlich hatten sie auch Recht. Aber heute bin ich ein Fan davon geworden. Nicht nur, dass so bekannte Schauspieler wie Joachim Fuchsberger, Eddie Arent, Eva Pflug oder Siegfried Lowitz mitgespielt haben faszinieren mich, sondern auch die Titel sind sehr kreativ: „Der Hexer“, „Der Frosch mit der Maske“, „Der unheimliche Mönch“ oder auch „Das Messer“ bauen schon vom Titel her Spannung auf. Die Filme zeigen zumeist Szenen in der Nacht. Ein Nebel zieht auf, das eigene Gesicht ist kaum zu erkennen, Schatten sind zu erahnen – ich sitze immer wieder gespannt vor dem Fernseher. Und vor allem auch: Es gibt am Ende oft keine Lösung. Es sind keine „08/15-Krimis“. Dazu kommt, dass sie immer noch (Gott sei Dank) in Schwarz-Weiß gezeigt werden. Dadurch wird die Atmosphäre dunkel gehalten.

Ich gestehe: So habe ich mir das vorgestellt, was am 31.10.1517 in Wittenberg geschehen ist. Es ist sehr spät am Abend. Ein 34-jähriger Mann zieht mit Hammer, Nägel und einem großen Blatt in Richtung der Schloßkirche. Er schaut nach links und nach rechts. Er versucht sich hinter seiner Professorenkleidung zu verstecken. Niemand soll merken, was jetzt gleich geschieht. Er geht zum Eingangstor und hämmert mit gezielten Schlägen sein Papier an das Tor. Er schlägt nicht zu heftig zu, damit niemand aufgeweckt wird. Nach getaner Arbeit schleicht er sich in sein nahegelegenes Haus zurück. Martin Luther als Teil eines Krimis. Das war für mich immer eine wundervolle Vorstellung. Und meine Pfarrer und Religionslehrer haben dieser Version immer auch Nahrung gegeben.

Nur: Leider stimmt sie so nicht. Die 95 Thesen von Martin Luther waren vorher längst in lateinischer Sprache geschrieben. Sie waren ein Impuls zu einer Disputation an der Universität. Martin Luther war Professor für Altes und Neues Testament. Es war durchaus Brauch, dass Professoren solch ein Streitgespräch angefangen haben um neue Erkenntnisse mit Studenten und Kollegen zu diskutieren. Von heimlicher Abfassung und Veröffentlichung dieser Thesen kann also keine Rede sein. Aber immerhin: dieses Mal sollte solch eine Schrift die Welt erzittern lassen. Denn am 1. November feiert die katholische Kirche bis heute den Allerheiligentag. Da kamen viele Menschen in die Kirche um einen Gottesdienst zu feiern. Martin Luther wollte, dass auch ganz „normale“ Mitbürger seine Thesen lesen konnten, die es tatsächlich in sich hatten. Studenten übersetzten sie deshalb in die deutsche Sprache und so konnte auch der „gemeine“ Mann sie lesen. Und an einem Tag waren Hunderte von Wittenberger informiert. Innerhalb sehr kurzer Zeit wurden die Thesen gedruckt und als „Flyer“ weit verbreitet. Erst dann nahm die Leitung der katholischen Kirche das Wirken von Martin Luther ernst und es gab verschiedene Streitgespräche mit Vertretern aus Rom, von denen ich schon im Mai als Updates geschrieben habe. Im Gegensatz zu Jan Hus 100 Jahre vorher, wusste Martin Luther die „neuen“ Medien zu nutzen, weil erst ungefähr 40 Jahre vorher Gutenberg die Buchdruckkunst erfunden hatte.

Und so gilt der 31.10. bis heute als Geburtstag der evangelischen Kirche, obwohl Martin Luther keine eigene Kirche gründen wollte, sondern sich für eine Reform der bestehen Kirche aussprach. Aber dazu war es jetzt zu spät und seine Thesen zu extrem. Und auf seine Forderung nach einem Reformkonzil wurde auch nicht eingegangen. Und so lernen noch heute die Menschen die vier Allein-Bestimmungen von Martin Luther: Allein Christus – allen der Glaube – allein die Schrift – allein aus Gnade. Und das soll auch weiterhin so verkündigt werden. Und deshalb plane ich, zumindest in der kommenden Reformationswoche dieses Thema noch einmal aufzugreifen.

Wenn Corona will, steht (wieder) vieles still, Update 229 vom 30.10.2020

Das Reformationsfestkind

Mit dem Gedenktag der Reformation ist das so eine Sache. Der 31.10. ist in den „fünf neuen Ländern“ ein Feiertag und in den Bundesländern Bremen, Hamburg und Niedersachsen. Ansonsten fristet er ein eher bescheidenes Nebendasein. In Bayern steht natürlich der Allerheiligentag viel mehr im Mittelpunkt. Die evangelischen Christen in unserem Bundesland feiern in der Regel am Sonntag darauf ihr Reformationsfest. Manchmal gibt es auf Dekanatsebene einen gemeinsamen Gottesdienst am Reformationstag. In diesem Jahr fallen Reformationsfest und Allerheiligentag zusammen. Von der gewohnten Reihenfolge wird manchmal auch abgewichen, wenn der 30.10. ein Sonntag ist. Dann wird in vielen Kirchengemeinden ein Tag vor dem Jubiläum das Reformationsfest gefeiert.

Das war auch 1983 der Fall. Und dieses Datum des 30.10.1983 war für mich persönlich das wichtigste und eindrücklichste Reformationsfest. Denn am Tag vorher kamen bei meiner Frau die Wehen und die Geburt unseres ersten Kindes stand an. Am Abend gegen 22.00 Uhr sind wir in die Frauenklinik nach Erlangen gefahren. Allerdings hatte es unser Kind überhaupt nicht eilig zu kommen. „Herr Metzger, da fahren Sie erst mal wieder heim und wir rufen Sie dann an. Das wird noch ein wenig dauern“. Das war die Aussage der Krankenschwester. Was sollte ich tun? Weil ich nur 3 km weit entfernt gewohnt habe, bin ich auf den Vorschlag in Absprache mit meiner Frau eingegangen. Zu Hause bin ich auch tief und fest eingeschlafen.

Kurz vor 3.00 Uhr hat dann das Telefon geklingelt. Ich fahre hin und es hat noch fast sechs Stunden gedauert bis unsere erste Tochter gegen 9.00 Uhr auf die Welt kam. Die Freude war natürlich riesengroß. Solch eine Geburt ist wie ein großes Wunder, das nicht zu beschreiben ist. Es war zwar keine große Krise, aber doch eine große Anstrengung für Frau und Kind, bis das neue Leben endlich auf der Welt war. Heute feiert sie den 37. Geburtstag. Kinder, wie die Zeit vergeht. „Warum habt Ihr denn Euer Kind nicht Martina genannt, wenn es am Reformationsfest zur Welt gekommen ist“? wurde ich immer wieder gefragt. So viel Liebe zu Martin Luther war dann doch nicht. Aber es ist für mich und meiner Frau wohl das unvergesslichste Reformationsfest in unserem Leben gewesen.

Wenn Corona will, steht (wieder) vieles still, Update 228 vom 29.10.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Kriegsleiden verändert ein Leben, aber verhindert nicht die Lebenskrise

Weltkrisen führen immer wieder zu echten Lebenskrisen, manchmal zum Absturz in Gesellschaft und Politik. Erst zu später Zeit erinnert sich die Weltgemeinschaft an die Bedeutung des Handelns eines Einzelnen.

Dazu gehörte vermutlich auch Henri Dunant. Er ist am 8. Mai 1828 in Genf geboren und wuchs in einem christlichen Elternhaus auf. Die Eltern lehrten ihn den Glauben an Jesus Christus und lebten selbst soziale Verantwortung vor. Durch die Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts wollte er Menschen zum Glauben an Jesus bringen. Unter anderem gründete er 1852 eine Genfer Gruppe des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM), in der er als Schriftführer fungierte. Drei Jahre später war er an der Gründung des Weltverbandes in Paris beteiligt. Er hat die Schweizer Evangelische Allianz mitgegründet.

Aber dann sollte sich sein Lebensweg schlagartig ändern. Am Abend des 24. Juni 1859 kam er nach dem Ende einer Schlacht zwischen den Truppen Sardinien-Piemont und Frankreichs auf der einen Seite und der Armee Österreichs auf der anderen Seite zum Schlachtfeld in Solferino. Er sah 38 000 Verwundete auf dem Schlachtfeld liegen. Dazu kamen Sterbende und Tote. Er war so erschüttert, dass er spontan aus der Zivilbevölkerung eine Versorgung organisierte. Unter dem Eindruck der Ereignisse kehrte er nach Genf zurück und beschrieb seine Erlebnisse in einem Buch. Er wollte eine Organisation schaffen, um künftig größere Hilfeleistungen tätigen zu können. Nach mehreren Reisen und Treffen gründete sich schließlich am 17.2.1863 das internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege, das seit 1876 den Namen „Internationales Komitee vom Roten Kreuz“ trägt.

Wegen finanzieller Schwierigkeiten der an seinem Unternehmen beteiligten Finanzierungsgesellschaft kam es zu einem Skandal. Schließlich erfolgte sein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Abstieg und er verarmte. Auch der CVJM hat ihn ausgeschlossen und er selbst wandte sich vom Christentum ab. Er konnte nicht verstehen, wie Christen im Namen von Jesus Krieg als Mittel zur Durchsetzung von Interessen nutzen können. Am Ende seines Lebens erinnerten sich Menschen doch noch an seine Leistungen und er erhielt 1901 zusammen mit Frederic Passy den ersten Friedensnobelpreis überreicht.

Ich selbst bin mit 17 Jahren in den CVJM eingetreten und es war in mir immer ein Schmerz, wenn ich an die Lebensgeschichte und Lebensleistung von Dunant denke und an den Umgang von Christen mit ihm. Aber auch hier gilt für mich: Nicht richten, sondern es besser machen. Und das ist schon schwierig genug. Morgen vor genau 110 Jahren, am 30.10.1910 ist Dunant gestorben und deshalb hat die evangelische Kirche den Tag vorher, den 29.10., als Gedenktag für diesen Pionier des Helfens eingerichtet.

Wenn Corona will, steht (wieder) vieles still, Update 227 vom 28.10.2020

Tägliche Gedanken von Pfr. Gerhard Metzger in einer schwierigen Zeit

Die bittere Wurzel herausreißen

Vor etwa sieben Jahren ist mir das zum ersten Mal aufgefallen. Ich gehe durch unseren Garten vor dem Haus und entdecke auch im Herbst bestimmte Blüten. Auf dem ersten Blick sahen sie aus wie Löwenzahn. Ich habe ein wenig gestaunt, aber alles nicht so ernst genommen. Mit dem Rasenmäher drüber und weg war alles. Aber in den folgenden Jahren ist mir diese Blume immer mehr aufgefallen. Im letzten Jahr schließlich war sie über die gesamte Fläche verteilt. An einer Stelle wuchs nichts mehr anderes. Offenbar handelte es sich um Unkraut. Ich weiß natürlich, dass der Begriff „Unkraut“ diskussionswürdig ist. Viele sagen: Unkraut gibt es gar nicht. Es gibt nur für mich nützliche und für mich unnützliche Kräuter. Es gibt Leute, die freuen sich an den Löwenzahn, weil man daraus einen schmackhaften Salat machen kann. Andere dagegen versuchen jeden einzelnen Löwenzahnhalm herauszustechen. Das gilt vor allem bei einem Rasen.

Bei dieser für mich neuartigen Blume aber war es so, dass teilweise überhaupt kein Gras mehr wuchs. Ich habe deshalb im letzten Jahr im Herbst einen Stecher hergenommen und jede einzelne Blume herausgezogen. Ich bin zu einem Nachbar gegangen und habe ihn gefragt, ob er dieses Kraut kennt. „Das ist ein Stachellatich“ meinte er. Ein komischer Name wie das Unkraut selbst. Ich habe etwa 20 Eimer zum Biomüllplatz am Friedhof getragen. Hinterher hatte ich ein richtig gutes Gefühl über diese getane Arbeit. Ich habe dann Grassamen ausgesät und war selbst überrascht, wie wenig von diesem „Unkraut“ 2020 gekommen ist. Jetzt weiß ich: Ich muss das jährlich machen und dann ist davon kaum etwas zu sehen.

Vor allem habe ich mich erinnert an eine bestimmte Bibelstelle aus dem Hebräerbrief: „…und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden“ (Hebr. 12, 15). Wenn ich darauf schaue, welch eine Wurzel dieser Stachellatich hat, dann kann ich diese Bibelstelle gut nachempfinden. Nach außen ziemlich klein, aber im Boden stark verankert. Da ist es nötig, tief in den Boden hineinzukommen um eine Veränderung zu erreichen und das Unkraut herauszubringen. Kein Wunder, dass die Bibel dieses Bild hernimmt, wenn es um Gnade und Friede geht. Das habe ich oft genug erlebt. Unfrieden ist wie solch eine bittere Wurzel. Er geht so tief, dass das Miteinander kaum mehr möglich ist. Beziehungen werden wacklig oder ganz zerstört, wenn die Wurzel allen Übels nicht vollständig herausgerissen wird.

Wenn ich jetzt über die Coronapandemie nachdenke, dann merke ich, dass sie genügend „Unkraut“ in der Gesellschaft gezeigt hat. So schlimm der Lockdown war, plötzlich war der Himmel wieder blau. Die Natur und vor allem auch die Flüsse haben sich teilweise wieder erholt. Die Wirtschaft hat gesehen, wie sie von Arbeitsprozessen in fremden Ländern abhängig ist. Ich bin gespannt, ob und wie solche „bittere Wurzeln“ erkannt und herausgerissen werden. Das gilt auch in den Beziehungen der Menschen untereinander. Die Demonstrationen im August haben gezeigt, dass es offenbar damit nicht sehr weit her ist. Anders kann ich nicht verstehen, dass auf solchen Demos Menschen gefährdet werden, weil sich nicht an die Spielregeln gehalten wird.

Es ist für mich auch kein Wunder, dass in der Bibel mit dem Bild der Wurzel eindrücklich darauf hingewiesen wird, Gott nicht zu verlassen um anderen Göttern zu dienen. „Lasst ja nicht …einen Stamm unter euch sein, dessen Herz sich heute abwendet von dem HERRN, unserm Gott, dass jemand hingehe und diene den Göttern dieser Völker. Lasst unter euch nicht eine Wurzel aufwachsen, die da Gift und Wermut hervorbringt“ (5. Mose 29, 17):